im Kosmos von Tanzen, Party und Club. Wie verlieren wir uns ganz, ohne uns zu verlieren und für immer verloren zu sein? Und wie finden wir uns wieder? – An diese Fragestellung versucht die Ausstellung An den Boxen links eine Annäherung. Verlieren können und wollen wir beim Tanzen und Feiern oft möglichst vieles: die Kontrolle, die Unschuld, unsere Scheu und Hemmungen, die Rationalität des Alltages, den Faden beim Labern, den Boden unter den Füßen. Nicht alles, kann an der Garderobe abgeben werden. Einiges wollen wir keinesfalls verlieren: unser Gesicht, unser Mobiltelephon, den Halt (des Gleichgewichts), je nach Situation den Verstand oder die Kontrolle über uns, und eigentlich niemals die Hoffnung! Schwierig, hier nicht den Überblick zu verlieren. Techno birgt das ungemein verheißungsvolle und zugleich gefährliche Versprechen, hier nicht unbedingt nach Orientierung und konkreten Antworten suchen zu müssen.
ist ein Kind der Klubkultur Dresdens. Ihre Beteiligten engagieren sich in den Bereichen Bildende Kunst, Performance, Public Health, Label/Klub und anderen subkulturellen Zusammenhängen. Konzipiert, in Räumen des Nachtlebens gezeigt zu werden, legt An den Boxen links einen weiteren Schwerpunkt: Einige Motive und alle Texte liegen auf sechs Postkarten (z.T. engl.) vor und werden an ganz unterschiedlichen Orten zu finden sein. Intention ist, die eigene Selbstbezogenheit zu verlassen und einen künstlerischen Zugang zu den uns beschäftigenden Fragen herzustellen. Die Texte geben in ihren Formen als gesampelte Remixe, Manifest oder Smartphone-Chat, einen ergänzenden Impuls, darüber auch zu sprechen (und nicht nur zu schauen). Fragestellungen rund um Party und Feiern sind universeller Natur. Sie dürfen und sollen auch außerhalb von Chill Out, Afterhour und Klub-Backstage diskutiert werden. Auf Entweder-Oder gibt es allerdings oft keine einfachen Antworten. Vielleicht ist das ja ganz gut so.
anzueignen für die uns eigene Art, die Außeralltäglichkeit zu zelebrieren, ist Voraussetzung dafür, selbst zu bestimmen, was darin passiert (und was nicht). Dieser “bewusste Space” befragt sich auch nach den Funktionen, die er von außen zugewiesen bekommt: Ihn können wir ebenso verstehen als die “uns zugewiesene Freiheit”: Hier dürfen wir durchdrehen, wenn übermorgen in der Schule oder auf Arbeit alles wieder läuft. – Dieses repressive Moment gilt es immer wieder aufs Neue zu brechen. Reflektieren ist ein Anfang. Potentiale von emanzipierter Anonymität, auf Transformation zielenden Heterotopien und des sich jeglicher Verwertung entziehende Widerstand des Beats sind unentwegt auszuloten. In diesem Sinne stellen alle den Augenblick auf der Tanzfläche immer wieder neu und aktiv her. Die Qualität des Dancefloors als gap ist seine unendliche Offenheit und unbestimmte Undefiniertheit.
legaler wie illegalisierter Psychoaktiva (und die Bedingungen, unter denen er stattfindet), seine Rauschwirkung und der Einfluss auf unser kollektives Party-Erleben, sind neben vielen anderen wesentliche Aspekte in diesem Prozess, die Lücke immer neu herzustellen. Mit Herausforderungen und Problemen können wir ganz verschieden umgehen. Defizitorientiertheit, ideologische Vorstellungen von “bösen” Drogen sowie die Abstinenzperspektive vieler Hilfsangebote sind einseitig kontraproduktiv. Dagegen versprechen konkrete Maßnahmen der harm reduction, wie akzeptanzorientierte Info-Angebote im Klub, die konsequente Legalisierung aller Substanzen und deren Testung (Drug Checking), Konsumreflektion u.ä. im Party-Kontext wirklich Erfolg. Einstellungsänderungen hin zu einer größeren Akzeptanz und eine strukturell andere Drogenpolitik sind dafür geboten. Notwendig ist nicht zuletzt die Selbstorganisation von Konsument*innen, um für ihre Anliegen einzutreten. Das Potential dafür liegt in der Szene von Klub und Nightlife selbst. Nur aus ihr kann ein von Usern initiiertes Projekt auch in Dresden entstehen.
mit den Grenzen und dem Entgrenzt-Sein der oder des Anderen beruht in diesem Verständnis auf dem grundlegenden Respekt der Privatsphäre anderer, der (auch verbalen) Gewaltfreiheit in Konfliktsituationen sowie der generellen Gleichberechtigung aller Anwesenden. Jede*r hat das Recht, über sich selbst zu bestimmen. Das geht weit über Konsum/Rausch hinaus und gilt nicht zuletzt auch auf körperlicher, sexueller Ebene. Im Begriff der Awareness kommt zum Ausdruck, dass es eine aktive Bewusstheit und aufmerksame Verständigung über all diese Aspekte braucht. Manchmal benötigt es dafür besonders geschützte Räume oder Regeln, manchmal nicht. So können wir uns – zusammen oder allein – verlieren in der Außeralltäglichkeit von Feiern und Party, ohne verloren zu sein. Achso, und wo treffen wir uns, wenn wir uns später verlieren? – Na vorn auf dem Dancefloor. An den Boxen links!
Draußen allein oder drinnen mitten im Gewühl? – THERESA ROTHE (*1990) arbeitet und lebt in Dresden. Sie trinkt leidenschaftlich gern Kaffee, gehört zur Generation Bouldern und ist viel draußen. An der HfbK studiert sie Bildende Kunst (Fachklasse Bildhauerei) und wirkt in der Galerie Stephanie Kelly mit. Künstlerisch geht sie interdisziplinär vor: Kostüme kollaborieren mit Grafik, Installation tanzen, ihre Malerei performt schon mal. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, Kuriositäten des Alltags und der voyeuristische Blick sind Gegenstände ihrer Arbeiten. Ihre Reihe Today liest sich wie die Chronik sich immer wieder verändernder Tageszustände. Sie sind Formen des Seins. Ihr Wesen, der schnelle Wechsel von einem zum anderen stehen in Today für den Augenblick, das Heute und somit auch für die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Jetzt. Jedes Bild setzt sich mit einem Moment, dem Gefühl des Gerade-Eben auseinander. Sie ist eine Verbildlichung dessen, was sich durch Sprache jeweils nicht ganz auf den Punkt bringen lässt. Sie sagt: “Zeichnen ist meditatives Durchdrehen. Etwas noch einmal zu zeichnen, heißt für mich, genauestens zu beobachten, was mir beim nochmaligen Betrachten immer noch wichtig erscheint.”
House oder Techno? – MURAT ÖNEN (*1993), aufgewachsen in Istanbul/Türkei, ist im Rahmen seines Malerei-Studiums an der HfBK gerade Meisterschüler und lebt und arbeitet seit kurzem in Leipzig. Seine Arbeiten bestehen oft aus collagenhaft zusammengesetzten Szenen, die sich direkt auf das (schwule) Nachtleben beziehen: Locker Rooms, Toiletten, Fetisch-Outfits und natürlich Typen. Seine Live Party Paintings (2015 – 2016) sind auf Pornceptual Parties in Berlin und dem gay-queeren Underground-Format Hot Club in Zürich entstanden und thematisieren zunächst das Bilder(fotografier)verbot, das auf Parties häufig (nachvollziehbarerweise) besteht. Murat ist einst selbst aus einem großen Techno-Klub rausgeflogen, weil er aus Versehen den Klubfußboden fotografiert hat. Das brachte ihn darauf, mit seiner Staffelei auf die Party zu gehen. “Das Malen inmitten der Tanzenden war dann eine richtige Show. Das war auch so gewollt. Die erschwerten Bedingungen, das blinkende und v.a. bunte Disko-Licht – ich konnte meine Farben gar nicht sehen! – die räumliche Enge und die starken Reaktionen der Gäste, das alles rückte den Prozess des Malens und eben auch mich selbst in den Mittelpunkt des Geschehens. Das war neu.” Das Bildelement der Masken verweist dabei auf eine subkulturelle Fetischästhetik und bestimmte Rollenvorstellungen, die stark mit Dominanz und Unterwerfung zusammenhängen. Sie versinnbildlichen im Zusammenspiel von Anonymisierung, Sicht- und Unsichtbarkeit auch das Paradox der Gleichzeitigkeit von Geoutet- und Nicht-Geoutet-Sein. Die Masken können in diesem Sinne auch als Ausdruck einer alternativen queeren Überlebensstrategie jenseits des Closets, der einfachen Logik des Verstecks, verstanden werden.
Tag oder Nacht? – JOSEFINE SCHULZ (*1993) liest Just Kids von Patti Smith, pflegt eine große Begeisterung für Interieurs und Tiere und die scheinbar innige Beziehung der Menschen zu ihnen. An der HfbK studiert sie freie Kunst und mischt derzeit in der Galerie Stephanie Kelly mit. Von der Malerei kommend wurde diese für sie zunehmend zur handelnden Figur. Wand als Leinwand, ein Versuch sich den Raum anzueignen, um die sozialen Bezüge darin und auch die Einsamkeit näher zu betrachten. Der Arbeitstitel Closer ihrer Serie von Fotografien verweist auf Berührungen, Gesten, Körper und deren Verletzlichkeit. Nah sein, ohne sich wirklich nah zu sein – die nackte Angst vor wirklicher Nähe. So sagt sie: “Im Klub sehe ich Momente, wo alles um mich herum verschwimmt. Die Anwesenden sind sich körperlich super nah und bleiben doch anonym. Oft verpassen wir so das Jetzt.” Entstanden ist Closer aus einer intuitiven Behutsamkeit und der Lust, mit Leuten zu arbeiten. Die Sujets parallel sowohl analog als auch digital zu fotografieren, war hier möglicherweise ein Versuch, sich fotografisch zu verlieren, ohne die dafür notwendige Balance von Nähe und Distanz ganz aufzugeben.
Nach Hause gehen? Oder doch noch etwas bleiben? – ALBRECHT WASSERSLEBEN (*1984) ist DJ, Best Boy beim hinreißenden House-Label Uncanny Valley und arbeitet ansonsten in einer Filmagentur. Er hält den charmanten Kleinstadtcharakter Dresdens zugleich für den größten Nachteil der Stadt: die Abgeschiedenheit von den größeren Zusammenhängen, Gedanken und den Zeitgeistern der Welt. Das gilt auch für Bewusstsein und Sensibilität in Bezug auf Gender im Klub-Kontext. “Freiheit in der Entscheidung über die eigene sexuelle Identität bedeutet Verantwortung und Wegfall von Ordnungsstrukturen.” Ausprobieren kann man das in den Bereichen der bildenden Kunst, der Musik und eben auch mit dieser Ausstellung. Das alles geht aber nicht, ohne auch die eigene Rolle als Typ zu hinterfragen und aus eigenen Fehlern zu lernen. Nicht zuletzt, um Diversität in unseren Szenen mehr zu fördern, organisiert Albrecht derzeit die Dresdner Party-Reihe XXY. Und ohne sein Dranbleiben hätte An den Boxen links niemals den Status einer fixen Idee verlassen.
Sind das Gegenteil flexibler Routinen statische Aufladungen? DIASHI (*1972), an der Ostsee aufgewachsen, lebte lange in Leipzig und baute dort das queere Kollektiv Homo Elektrik mit auf ("Tanzen ist die wärmste Jacke"). Er arbeitete bei den Drug Scouts, einem akzeptierend arbeitenden Drogen-Info-Projekt. Heute ist er aktivistisch bei den Love Lazers unterwegs. Deren Info-Flyer zu New Safer Sex richten sich v.a. an Männer, die Sex mit Männern haben und neben Kondomen weitere Möglichkeiten des Schutzes vor HIV brauchen: “PrEP ist hier gerade die Revolution, aber auch über PEP oder Treatment as Prevention wissen viele gar nichts. Das muss sich ändern!” Seit Diashi in Berlin lebt, wirkt er im ://about blank als “Zuständiger für Friendship und Atmo”. Er betreibt mit einem Freund das Techno-House-Label Mikrodisko, das vor kurzem ein Tape fürs Crowdfunding des Objekt klein a produziert hat. Diashi hält sich momentan in Tokio auf, um dort einen Mikrodisko-Onigiri zu entwickeln.
Reis oder Pasta? – Ach Quatsch, das passt schon. ROGER LEHNER (*1989) ist in der Schweiz aufgewachsen und lebt heute als Grafikdesigner in Dresden. Wenn er nicht gerade beim Klettern oder Kochen ist, ist visuelle Gestaltung sein Alltag. Im Gegensatz dazu geht er gestalterisch oft zweidimensional vor, seine Grafik entsteht aus dem Inhalt. Schriften bringen das besonders zur Geltung: “Ich mag Schriften, ebenso wie Gestaltung, möglichst schnörkellos und konzeptionell, ohne viel Schnickschnack.” Sein eigener Typo-Liebling ist die Schrift Pylon, die er mit einem Grafiker-Kumpel aus Berlin zusammen für einen Kunstraum gemacht hat. Das besondere an ihr ist, dass sie nur für die vertikale Richtung gezeichnet ist, wenn die Buchstaben übereinander stehen (wie bei den Hotel-Schriftzügen an Hausecken), aber nicht funktioniert, wenn man sie normal setzt.
Impressum: Albrecht Wassersleben, Prießnitzstr. 20, 01099 Dresden, E–Mail Gestaltung/Umsetzung: Roger Lehner | Texte: Diashi | Foto: Josefine Schulz